Marillion – Zeitlos und doch Zeitgemäß

Das nun erscheinende Album der britischen Prog Rock-Band bedeutet für diese bereits die zwanzigste Studio-Veröffentlichung. Wo man bei anderen Bands nach solch einem Output Müdigkeit und Ideenlosigkeit vorfindet, schaffen es Marillion mit „An Hour Before It’s Dark“ jünger und frischer denn je zu klingen. Weitere interessante Rock-Storys gibt es hier zu lesen.

InterpretMarillion
AlbumAn Hour Before It’s Dark
Veröffentlichung4. März 2022
GenreProgressive Rock
LabelEdel Music
Tracks6
Bewertung der Redaktion8,5/10
Spieldauer55 Min

Stets im Wandel

Ende der 70er war das goldene Zeitalter, in dem sich der Progressive Rock seit dem Beginn der Dekade befand, langsam vorbei. Gezählt waren die Tage der ausgefuchsten Kompositionen, der langen und künstlerisch anspruchsvollen Konzept-Alben. Punk, New Wave und Heavy Metal ließen die verkopften Tonkünstler alt aussehen – bis auf einige wenige, die sich um einen eher radiofreundlicheren Sound bemühten. Marillion entstanden in genau dieser Ära der Veränderung, und dennoch schafften sie es – zumindest in Großbritannien – eindrucksvolle Erfolge zu erzielen.

Vielleicht, weil es die Band stets hinbekommt, sich neu zu erfinden. Manche ihrer Alben sind Konzepe, die große Geschichten von Erfolg und Verlust erzählen, und werden zu großen Prog-Epen mit Tiefgang. Wieder andere klingen schon wie ebenso fröhlicher wie seichter Pop-Rock. Und dann gibt es die experimentelleren Alben, die sich vermehrt mit elektronischer Musik auseinandersetzten. „An Hour Before It’s Dark“ findet gekonnt die Mitte zwischen der auftragenden Kunstmäßigkeit und herkömmlicher Eingängigkeit.

Cover "An Hour Before It's Dark
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Das Album behandelt, wie so viele in den letzten zwei Jahren, die zahlreichen Probleme, mit denen sich die Menschheit gerade herumschlagen muss. Dem Coronavirus wird da auch gleich eine ganze musikalische Suit gewidmet – genauso wie Diamantenminen in Westafrika und der finanziellen als auch emotionalen Armut. Dabei sind die fünf älteren Herren glücklicherweise wenig predigend oder gar belehrend. Die Texte fügen sich in den Ton der Musik ein, und die ist zwar stellenweise tatsächlich etwas düster (oder besser auf Englisch gesagt: „Gloomy“), größtenteils aber warm und freundlich. Als gäbe es auf die in den Lyrics beschriebene Dunkelheit immer noch Hoffnung. Darauf spielt auch der Titel an – es ist noch Zeit bis zum Einbruch der Nacht.

„Murder Machines“ -Video aus dem Album „An Hour Before It’s Dark“

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Von Alter keine Spur

Diese Stimmung wird auf „An Hour Before It’s Dark“ durch verschiedene musikalische Spielarten erzeugt. Mit dem Opener ‘Be Hard On Yourself’ beginnt das Opus etwa mit einer recht rockigen, gitarren- und gesangsorientierten Nummer. Die von Sänger Steve Hogarth wiederholte Hookline klingt noch lange nach dem Hören weiter. Gerade diese Epen sind die starken Momente des Albums. So etwa auch der wesentlich ruhigere, mit mehr Piano untermahlte, fast zehnminütige Song ‘Sierra Leone’. Beispielhaft bei diesem ist die zum Crescendo aufgebaute Struktur des Songs. Die Tonalität steigert sich immer weiter, während zwischendurch immer wieder stille Passagen eingeworfen werden.

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Dass die Lieder in verschiedene Sequenzen eingeteilt werden können, ist offenbar auch im Sinne des Albums. Fast alle Songs, bis auf die für sich stehenden Nummern ‘Murder Machines’, ‘The Crow And The Nightingale’ und ‘Only A Kiss’, sind im Album in Parts aufgeteilt. Aus diesem Grund tragen die jeweiligen Passagen noch zusätzliche Untertitel. Dennoch sind keinerlei Sprünge inerhalb der Songs vorhanden – alles fügt sich aneinander an.

Es ist ein wunderbar zeitgemäßes Album, das Marillion als ihr zwanzigstes veröffentlichen. Durch den generell sehr atmosphärischen Sound, die bedeutungsschwangeren, aber nie zu aufdringlichen Texte, und die herausragende Leistung an den Instrumenten wirken sie kaum wie eine seit Jahrzehnten etablierte Band. Es könnte genauso gut das Werk einer jungen, modernen Band sein, die noch viel zu erzählen hat. Aber offenbar sind auch Marillion noch nicht fertig mit ihren Geschichten.


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Autor*in

Egal ob bei Konzerten, im Proberaum oder Zuhause vor der Anlage – Musik ist für Simon alles. Da er in seiner Freizeit deshalb sowieso schon alle zutextet, hat er es sich auch noch zum Beruf gemacht.