Placebo – Das Medikament wirkt Wunder

Neun lange Jahre hat es gedauert, bis sich die britischen Alternative-Rocker von Placebo dazu aufraffen konnten ein Album aufzunehmen. Das Warten hat sich aber gelohnt, denn offenbar haben die Jungs ihre Hausaufgaben nach dem etwas eintönigen „Loud Like Love“ gemacht, und die Schwächen des Vorgängers ausgebessert. Weitere interessante Rock-Storys gibt es hier zu lesen.

InterpretPlacebo
AlbumNever Let Me Go
Veröffentlichung25. März 2022
GenreAlternative Rock
LabelSO Recordings
Tracks13
Bewertung der Redaktion8/10
Spieldauer57 Min

Musik nach Plan

Dass es so lange gedauert hat, bis Brian Molko und Stefan Olsdal wieder zusammen ins Studio gegangen sind, ist eigentlich verwunderlich. Placebo brachten zuverlässig alle zwei bis drei Jahre eine Platte auf den Markt – nach dem 2013er Album „Loud Like Love“ war es an der Langspieler-Front aber lange still. Zwar bekamen Fans mit der „Lifes’s What You Make It“-EP ein wunderbares musikalisches Häppchen serviert, aber ansonsten konzentrierte sich die Band wohl lieber auf das ausgiebige Touren anlässlich des Jubiläums der Gründung. Nun scheint die beiden übrig gebliebenen Placebo-Masterminds die Corona-Ödnis ergriffen zu haben, denn mit „Never Let Me Go“ gibt es eine knappe Stunde neues Material.

Dieses bedient sich wieder einmal ausgiebig am bisher erprobten Song-Baukasten. Richtig große Überraschungen sollte man auf „Never Let Me Go“ nicht erwarten, aber dennoch wirken die Songs der Platte instrumental – und musikalisch generell – breiter aufgestellt als bisher. Stellenweise führt das dazu, dass das Werk bisweilen etwas überproduziert wirkt. Oft ist es aber eine willkommene Abwechslung zu den altbekannten „Mal etwas schneller, mal etwas langsamer“-Formeln, die eigentlich ein so fundamentaler Teil des Placebo-Sounds sind. Derartiges könnte man sich auch von Brian Molkos immer gleichbleibender Stimme wünschen, wenn sie nicht so verdammt gut zur Musik und der Lyrik der Band passen würde.

Cover "Never Let Me Go"
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So ist zum Beispiel der Song ‘The Prodigal’ ein absolutes Higlight der Platte. Die Instrumente, die den Song tragen, sind nämlich ausnahmsweise nicht „nur“ Gitarre, Bass, Schlagzeug und ein bisschen Synthesizer, sondern eine richtige Streichersektion. Diese erzeugt eine wunderbar sentimentale, verträumte Basis für das Lied, das in dieser Form perfekt als Film-Soundtrack genutzt werden köntte. Wenn man die Augen schließt, sieht man förmlich die Anfangscredits des nächsten großen BBC-Dramas vor sich aufziehen. Ähnlich verhält es sich mit ‘This Is What You Wanted’. Hier ist eine, natürlich ebenfalls sehr melancholische, Klaviermelodie der Star des Lieds. Molkos Gesang ist verhältnismäßig ruhig, geht eher in Richtung Sprechen – was die Bedeutung der Lyrics noch mehr unterstreicht. Es ist zwar keine Gute-Laune-Musik, aber es ist athmosphärisch und nimmt holt einen emotional ab.

Drogen, Umwelt und Queerness

Genauso erdrückend wie der Sound der Musik sind auch – eigentlich wie immer – deren Texte. Das Duo widmet sich auf „Never Let Me Go“ ähnlich wie bei der Musik wieder ihrem Standartrepertoire. Und das ist auch gut so, denn die leicht pessimistischen, sehr gefühlsbetonten Lyrics passen besser zum Zeitgeist denn je. Der Opener ‘Forever Chemicals’ ist die obligatorische Drogennummer, die vor dem süßen, aber gefährlichen Exzess mit Substanzen warnt, die im Gegenteil zu Placebos richtig reinhauen. Spannender sind da die Umweltschutzwarnung ‘Try Better Next Time’ oder die Queer-Positivity-Hymne ‘Beautiful James’. Hier kann sich das Songwriting-Talent des Duos richtig entfalten – und es fühlt sich wunderbar persönlich an.

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Dass Placebo nach fast zehn Jahren immer noch exakt nach Placebo klingen ist zwar kaum verwunderlich, aber auch dennoch erleichternd. Zwar wäre etwas mehr Mut zur Abwechslung stellenweise erfrischend gewesen, doch sein wir ehrlich: Placebo sind gut, so wie sie sind. Und mit „Never Let Me Go“ verteilen sie wieder einmal eine schmackhafte Pille, die hoffen lässt, dass der Nachfolger etwas schneller aus dem Studio geliefert wird.


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Autor*in

Egal ob bei Konzerten, im Proberaum oder Zuhause vor der Anlage – Musik ist für Simon alles. Da er in seiner Freizeit deshalb sowieso schon alle zutextet, hat er es sich auch noch zum Beruf gemacht.